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Eine nicht gehaltene Rede

Kathrin Lange • Dez. 01, 2019

Bei der Preisverleihung des Wortrandale Literaturpreises 2019 am Wochenende wurden von den 30 Nominierten drei ausgewählt, die auf der Bühne um den Publikumspreis kämpfen durften. Wenn die Ziffer 4 gezogen worden wäre, dann wäre ich eine dieser drei gewesen.
Da das Los auf jemand anderes fiel, blieb dem Saal mein Vortrag erspart, aber da er viel über mich aussagt, und vor allem darüber, warum ich "Jagdsaison 2023" geschrieben habe, stelle ich die nicht gehaltene Rede hier online.

Guten Abend, meine Damen und Herren!

Später am Abend würde er einem Jungen das Leben retten, aber das wusste er noch nicht, als er seine Schicht begann.

Das ist der erste Satz aus meiner Kurzgeschichte „Jagdsaison 2023“, die hier für den ersten Wortrandale-Literaturpreis in der Sparte „Krimi“ nominiert ist. Da ich nicht genug Zeit habe, um Ihnen die Geschichte komplett vorzulesen, habe ich mich entschieden, Sie teilhaben zu lassen daran, wie sie entstanden ist.

Zuerst war da der Name des Wettbewerbs.

Wortrandale. Das klingt spannend. Kontrovers. Die Idee, etwas einzureichen, war fast augenblicklich da.

Okay.

Was nun?

Beginnen wir mit der Tätigkeit, die wir Autor*innen gern verleugnen. Googeln wir mal.


Randale ist eine Rockband aus Bielefeld. Aktuelles Album: Kinderkrachkiste.

Da ist es, dieses Wort: Krach, das mir auch als erstes einfiel, als ich den Namen Wortrandale Literaturpreis hörte.


Laut Wikipedia bezeichnet Randale umgangssprachlich „heftigen und lautstarken Protest, Krawall, Rabatz“ sowie „Ausschreitungen“.[1] Ähnlich wie das Verb randalieren schließt der Begriff sowohl die Aspekte Lärmen, Aufruhr, Unruhe-Stiften oder Unfug-Treiben als auch die Aspekte Belästigung oder Gewalt, insbesondere Schlägereien, Vandalismus etc. mit ein.


Da stehen also die Aspekte „Belästigung und Gewalt“ neben „Schlägereien und Vandalismus“. Aha, dachte ich. Interessant. Denn, ja, ich gestehe, in meinem Kopf entstanden beim ersten Hören von „Wortrandale“ Bilder von brennenden Autos und Drogerien im Hamburger Schanzenviertel. Verbinden wir Randale nicht allzu oft mit linksextremen Ausschreitungen, während die Typen, vor denen ich die meiste Angst habe, auf ihren Veranstaltungen schweigend und bedrohlich durch die Straßen marschieren und ihre erigierten Arme nicht unter Kontrolle haben?


Bei uns im Dorf gab es vor einiger Zeit einen Flyer, den die Antifa verteilte: „Mein Nachbar der Nazi“ stand auf dem schlecht kopierten und durchaus justiziablen Pamphlet. Die Antwort der auf diese tumbe Weise angegriffenen sogenannten Neuen Rechten kam ein paar Tage später: Als Brief mit elegantem Briefkopf, rechtschreibfehlerlos und rhetorisch stark formuliert.

Klassisches Eigentor des linken Randes, dachte ich. Blöde Randalierer.

Geht also der Begriff „Wortrandale“ vielleicht in eine falsche Richtung? Bin ich an dieser Stelle mit dem, was mich umtreibt, falsch?


Ich würde Ihnen an dieser Stelle gern eine Geschichte erzählen. Sie handelt davon, wie Festtage in meiner Familie im Chaos hitziger Diskussionen über „die Flüchtlinge“ endeten. Sie handelt von meinem Widerspruch gegen unreflektiert geteilte Netzinhalte: „Warum erhalten Asylanten, die unsere Gesellschaft nicht akzeptieren, mehr Geld als der Rentner, der 45 Jahre gearbeitet hat?“

Meine Geschichte handelt von Sätzen wie: „Ich bin ja kein Rassist, aber …“

Von: „Wieso sollte ich meinen zweiten Satellitenempfänger im Keller, denen geben? Den brauche ich noch, als Ersatz, falls meiner kaputt geht!“

Und dann handelt meine Geschichte von diesem Unbehagen darüber, dass der Mensch, der mir dort gegenübersteht, jemand ist, den ich mag, den ich als Freund bezeichne, jedenfalls als guten Bekannten.

„In was für einer krassen Wohlstandsgesellschaft leben wir?“, denke ich. „Dass wir es nicht aushalten, keinen zweiten Satellitenempfänger in Reserve zu haben?“


Kürzlich schrieb jemand in einer Facebook-Gruppe, in der ich Mitglied bin, er hänge weder rechten noch linken Ideologien an. Und nur wenige Zeilen weiter unten in seinem Post nannte er den Volkstrauertag „Heldengedenktag“. Meine Frage, ob da vielleicht eine subtile Absicht dahinter stecke, wurde mit „Natürlich nicht!“ und der entsprechenden Empörung beantwortet. Und ich stand da und fragte mich, mit was für einem Phänomen ich es hier zu tun habe. Hat da jemand mit subtiler rechter Agenda ganz ordentlich Kreide gefressen oder tue ich dem Schreiber unrecht, weil er nur verzweifelt versucht, das zu tun, was uns ja mittlerweile von allen Seiten eingebimst wird: die andere Seite ernst zu nehmen, zu umarmen? Eva Maria Stegmann hat in der vorletzten ZEIT geschrieben, Toleranz sei eben auch eine Frage des Milieus. Angehängt an diesen Post war übrigens ein Link zu einem Song mit klarer Botschaft: Vertragt euch!

Süße Katzenvideos und das Toleranzparadoxon lassen grüßen.

Knoten in meinem Hirn.

Das ist, im Kern, meine Geschichte. Im Wesentlichen handelt sie von dem mal mehr mal weniger laut geäußerten Vorwurf an mich: „Hast du kein anderes Thema, als immer diese Nazis?“

„Jetzt hör doch endlich mal mit dieser Politik auf … wenigstens an Weihnachten!“

„Kann es sein, dass du paranoid bist?“


Die Demonstration der NPD am vergangenen Wochenende in Hannover wurde zuerst von der Polizei verboten, dann sowohl vom Oberlandesgericht Hannover als auch vom OLG in Lüneburg wieder erlaubt, denn man sah (Zitat) „keine ausreichenden Hinweise, die ein Totalverbot als schwersten Eingriff in die Versammlungsfreiheit rechtfertigen“. Das Netz vibriert. „Sind da etwa Nazirichter am Werk?“, fragt man sich. „Irritierend, dass hier ausnahmsweise mal die nicht Polizei die Nazia…“

Sie wissen schon.

Sie kennen das alles.

Randale mit Worten.

Die asozialen Medien. Ein Auszug aus Fakenews und gesplitterten Realitäten: Faschismus von rechts, links und neuerdings auch aus der Richtung Öko? Die Regierung will das deutsche Volk austauschen. Islamisierung des Abendlandes. Fuck AfD. Drecksfotze!

Wieso?

Darf man doch heute sagen!

Seehofer ist mal zu rechts, mal zu links, je nachdem, wann und von welcher Seite man guckt. Dieter Nuhr muss ein rechter Idiot sein, wenn er Greta doof findet, und jeder, der sich auch nur fragt, was das mit diesem Gendersternchen eigentlich soll, ist per se des Sexismus‘ verdächtig.

„Nein, nicht jeder Geflüchtete bekommt 4.500 Euro im Monat.“

„Das ist doch eine völlig unzulässige Verknüpfung von Dingen, die gar nichts miteinander zu tun haben.“

„Halt lieber den Mund, weil wenn du dieses Unbehagen thematisierst, zerstörst du das Arbeitsklima.“

„Kinder! Es ist Weihnachten!“

„Hör endlich auf, so paranoid zu sein!“


Manchmal komme ich mir vor wie ein Kind, das sich auf den Boden wirft, weil es nicht weiß, wohin mit all den Gedanken und Gefühlen in seinem Kopf. Ein Kind, das alles ungefiltert aus sich rausschreit, was es doof findet oder auch einfach nur nicht versteht. Manchmal möchte ich – so richtig laut und nervig – randalieren.

Und dann?


Randale bedeutet laut Definition: heftiger und lautstarker Protest, denke ich. Und dann frage ich mich: Kann man auch leise randalieren?

Mit Worten?

Mit meinen Geschichten!

Ich bin hier also doch richtig, denke ich. Vielleicht sogar goldrichtig.


Denn: What if?, das ist die große Weltenbau-Frage der Krimischreibenden.


Was wäre wenn?


Was wäre wenn all das, was gerade alles schief läuft, in drei, vier Jahren noch schlimmer geworden wäre? Wenn es einen ausreichend machtgeilen Politiker einer der sogenannten Volksparteien geben würde, der, ganz Sebastian Kurz-like, seine Regierung von der hellblau lackierten Nazipartei tolerieren ließe? Was würde dann passieren?


Das sind so die Gedanken, die mir durch den Kopf schießen.


„Der Dichter schreibt nicht, weil er etwas weiß, sondern, weil er eine Frage hat“, sagt Milan Kundera.


Wenn ich schreibe, kann ich mir am besten beim Denken zuhören. Also setze ich mich, verdammt nochmal, an den Schreibtisch und beginne.


Jagdsaison 2023.


Hier ein kleiner Auszug.


„Die taz jibt’s heute nich“, sagte der Kioskbesitzer. „Is einfach nich jeliefert worden.“

Mit einem Kaffee und einer Ausgabe des Tagesspiegels kehrte Faris zu seinem Wagen zurück. Ein Mann im Anzug wartete schon auf ihn. Es gab einen kurzen Moment der Unschlüssigkeit, diese Sekunde in der Schwebe, in der so vieles steckte: das Registrieren von Faris’ arabischem Aussehen,

die automatische Überlegung, ob es besser wäre, ein anderes Taxi zu nehmen, dann das Einsetzen des Verstandes.

Nein, man war ja schließlich kein Rassist.


Ich danke Ihnen.





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