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Ich hab' da so einen Traum

Kathrin Lange • Juni 29, 2014

Manchmal denke ich, unser Literaturbetrieb ...

... bildet die Welt da draußen ...wie in einem Miniaturwunderland ab. Am Wochenende war ich auf der Tagung "Krimis machen 2", die vom Begründer der KrimiZEIT-Bestenliste Tobias Gohlis, Literaturkritiker Thomas Wörtche und Autorin und Verlegerin Zoë Beck organisiert wurde. Angekündigt war eine Veranstaltung, in der "alle mit allen auf Augenhöhe" reden, und im Vorfeld machte der Wunsch die Runde, dass man sich ohne Vorbehalte untereinander austauschen wollte.

Als die Veranstaltung am Samstag gegen zehn Uhr mit einiger Verspätung begann, war der Wille, dieses Vorhaben umzusetzen, auch deutlich spürbar. Thomas Wörtche begann den ersten Vortrag mit dem Versprechen, über seine Einschätzung zu referieren, was ein guter Krimi sei, indem er ex negativo seine Kriterien für einen schlechten Krimi darlegen würde. Ein Vorhaben, das innerhalb von kurzer Zeit torpediert wurde, als die Diskussion sich auf die alte, leidige E- und U-Debatte verlegte, mit der gefühlsmäßig der gesamte Vormittag verplempert wurde. "Wir wollen keine alten Gräben aufreißen", das war die Maßgabe im Vorfeld. Und sie erinnerte mich ein wenig an die Versuche von Integrationsverfechtern, die gebetsmühlenartig wiederholen, dass doch alle Menschen gleich und eine multikulturalistische Gesellschaft möglich sei. Was natürlich genau bis zu dem Punkt funktioniert, bis man feststellt, dass das Gegenüber, eben weil es von ganz anderen kulturellen Voraussetzungen ausgeht, eine Sprache spricht, die zu Missverständnissen führt.
Der Andere? Huch! Ein Alien.
"Ein Autor, der nichts Relevantes zu sagen hat, sollte sich lieber bei Aldi an die Kasse setzen", so die zugespitzte Meinung, die gegen jene auf der Gegenseite steht: "Lieber Lektor, sage mir doch bitte, was ich schreiben soll, damit ich möglichst viele Bücher verkaufe!"
Kunst gegen Kommerz.
Die uralte Frage.
Ich möchte gähnen und kann es nicht, weil ich mich ärgere. Ich ärgere mich darüber, dass rhetorisch geschulte, brillante Köpfe mit ein, zwei Sätzen dafür sorgen, dass Autorinnen sich vorkommen wie gemaßregelte Schulkinder. Ich ärgere mich darüber, dass die Chance vertan wird, anhand von k29onkreten Fragestellungen über gute und schlechte Kriminalliteratur zu diskutieren (an der Stelle, an der in meinem Notizbuch Thomas Wörtches ganz persönliche Kriterien für einen schlechten Roman stehen sollten, stehen immer noch drei Fragezeichen.) Ich ärgere mich darüber, dass nach der Podiums"diskussion" genau das einsetzt, was im wahren Leben auch passiert: Ghettobildung. Man sucht sich seinen eigenen Kreis, um sich untereinander der eigenen Position zu vergewissern, oder man muss – leider, gottseidank – sowieso gerade zum Zug. Der Andere ist wahlweise der arrogante, elitäre, dauerbeleidigte Schnösel oder der ekelige, sich prostituierende Lohnschreiber.
Chance vertan. Schade!

Meine Vorstellung, als ich zu dieser Tagung gefahren bin, war eine andere. Auf der Basis eines gemeinsamen Interesses und Feuers, für das wir alle brennen, würde sich ein Weg finden, den verflixten Graben, der zwischen E- und U-Literatur klafft, wenigstens ein bisschen zuzuschütten, das war meine Hoffnung.
Wie das gehen soll?
Ich habe da so einen Traum.
Auf einer Tagung zum Thema "Bestseller", die in der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel stattfand, hat Burkhard Spinnen einmal einen improvisierten, aber sehr aufschlussreichen Vortrag darüber gehalten, warum anspruchsvolle Literatur gefördert werden muss. Seine These: Wenn wir nicht einer gewissen Anzahl von Autoren durch finanzielle Unterstützung seitens des Kulturbetriebs die Möglichkeit geben, neue sprachliche Formen zu entwickeln, dann hat die große Masse der anderen irgendwann nichts mehr, mit dem sie ihre Wirkung erzielen kann. Vereinfacht gesagt: Hätten Alfred Döblin und Co. sich nicht eingehend mit Montagetechniken auseinandergesetzt, dann könnten Charlotte Link und Co. heute keine Rückblenden schreiben. Aus diesem Grund, so Spinnens These, hätten die E-Literaten eine wichtige Funktion im Literaturbetrieb.
In meinen Augen erscheint das einleuchtend.
Was nun aber leisten die Unterhaltungsautoren zu diesem Pakt? Das Argument, dass Verlage Bestseller machen müssen, um die hohe Literatur finanzieren zu können, sticht in der heutigen Zeit nicht mehr, denn welcher Publikumsverlag, der es schafft, Titel in die Bestsellerlisten zu drücken, traut sich noch, seinem Vertrieb und Controller gegenüber den wirklich innovativen, anspruchsvollen Titel durchzusetzen, jenen, bei dem von vornherein klar ist, dass er sich vielleicht nur tausendmal verkauft? Auch hier scheint mir die Branche wie ein Abbild der Gesellschaft im Kleinen: Wenn wir nicht aufpassen, klafft die Schere immer weiter auseinander. Auf der einen Seite die Großen, die in absehbarer Zukunft die Bestseller nach Maß und Publikumsgeschmack per Minimalkonsens zuschneidern, auf der anderen Seite die Klein- und Kleinstverleger, die unter Aufbietung aller gesundheitlichen und finanziellen Kräfte bis zur Selbstausbeutung versuchen, sich gegen den Trend zu Banalisierung zu stemmen.

Was wäre aber, wenn wir Autoren aufhören würden, uns gegenseitig den eigenen Standpunkt madig zu machen? Was wäre, wenn wir es schaffen würden, den jeweils anderen mit seinem Hintergrund, seinem erzählerischen Ansatz und dem Grund seines Schreibbedürfnisses einfach gelten zu lassen und uns stattdessen einmal fragen, ob wir zusammen etwas erreichen können?
Ich würde gern den E-Literaten unter uns zurufen: Hey! Hört doch mal auf, die Nase zu rümpfen. Und den U-Literaten mit den wirklich ganz großen Verkaufszahlen: Was hindert Euch eigentlich daran, Euren Einfluss in den Verlagen (und vielleicht auch einen Teil Eurer Kohle) dazu zu nutzen, dass die E-Literatur nicht in zunehmendem Maße von Kulturförderung abhängig gemacht wird?
Und all jene, die sich irgendwo dazwischen befinden, die sich von Buch zu Buch, von Vorschuss zu Vorschuss hangeln, mit dem sie die Familie über die Runden bringen müssen? Was hindert uns daran, nicht nur im stillen Kämmerlein über die Umstände zu jammern, sondern stattdessen unsere Visionen zu teilen? Gibt es Möglichkeiten einer Art „Länderfinanzausgleichs“ zwischen den ganz großen Verlagen und den ganz kleinen? Jeder, der einen Nummer 1 Titel auf die SPIEGEL-Bestsellerliste bringt, muss im Gegenzug einen Titel bei irgendeinem kleinen Literaturverlag unterstützen? Marketingtechnisch wäre das doch eine tolle Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Branche für beide Verlage zu erlangen. Und in Zeiten der Vernetzung von Social Media und E-Book entstehen da vielleicht ganz neue Möglichkeiten ...

Eine versponnene Utopie? Vielleicht. Aber, hey, ich bin Unterhaltungsautorin, ich darf unrealistische Settings erfinden!

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